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Pflegeheime in Erding: Ohne Migranten „könnten wir zusperren“

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„Wir sind extrem bunt“, sagt Angelina Di Virgilio, Leiterin des Heiliggeist-Stifts Erding (beige Strickjacke). Sie beschäftigt Pflege- und Hilfskräfte aus zig Nationen, darunter (v. l.) Nurie Amiri (Afghanistan), Regat Kibrealem (Eritrea), Angelika Rumpfinger (Bayern, mit Heim-Hündin Emma), Aleksandar Damjanovic (im Hintergrund, Teamleiter aus Bosnien) und Mengstab Woldetensae (Eritrea). Tolerantes Klima im Team Gute Erfahrungen mit „Triple Win“ Klinik bietet Integrationshilfe
„Wir sind extrem bunt“, sagt Angelina Di Virgilio, Leiterin des Heiliggeist-Stifts Erding (beige Strickjacke). Sie beschäftigt Pflege- und Hilfskräfte aus zig Nationen, darunter (v. l.) Nurie Amiri (Afghanistan), Regat Kibrealem (Eritrea), Angelika Rumpfinger (Bayern, mit Heim-Hündin Emma), Aleksandar Damjanovic (im Hintergrund, Teamleiter aus Bosnien) und Mengstab Woldetensae (Eritrea). Tolerantes Klima im Team Gute Erfahrungen mit „Triple Win“ Klinik bietet Integrationshilfe © Uta Künkler

Eine ganze Branche wäre ohne Migranten aufgeschmissen: Bis zu 70 Prozent der Pflegekräfte in Erdinger Einrichtungen kommen aus dem Ausland.

Landkreis – „Das ist ein Tisch, ein Bett, ein Schrank.“ Einfache Mittel wie Bilder eines Zimmers genügen Sabine Schwädt für den Sprachunterricht. Die ehemalige Deutschlehrerin ist Bewohnerin im Heiliggeist-Stift Erding – und bietet ihre Hilfe auch noch mit 81 Jahren an. Ihre Schützlinge sind Pflegehelfer, Hauswirtschafterinnen, Fachkräfte aus aller Herren Länder. „ Wir sind extrem bunt“, sagt Einrichtungsleiterin Angelina Di Virgilio.

Manche Neue kämen ohne Deutschkenntnisse nach Erding, berichtet Di Virgilio. So wie die junge Frau aus Usbekistan, die voriges Jahr hier ihren Bundesfreiwilligendienst absolvierte. In jeder freien Minute ging sie zu Schwädt und büffelte Vokabeln. Mit Erfolg. Nach einem Jahr absolvierte die 27-Jährige ihren fortgeschrittenen Sprachtest mit links.

Zig Nationen arbeiten unter einem Dach

Zig Nationen arbeiten hier unter einem Dach. Etwa 70 Prozent haben Migrationshintergrund, sagt Di Virgilio. Sie kommen aus Südosteuropa, von den Philippinen, aus Kenia oder Eritrea. Freilich gebe es da mal Gesprächsbedarf, wenn so viele Kulturen aufeinander treffen. Etwa zwischen Serben und Bosniern oder Russen und Ukrainern. Aber das Klima sei tolerant, sagt die Italienerin Di Virgilio.

Rassistische Anfeindungen von den Bewohnern erlebe sie selten. „Die Leute wissen alle, wie froh wir um die Hilfe sein können“, sagt Di Virgilio. „Ohne ausländische Kräfte könnten wir sofort zusperren. Wir sind ganz stark auf sie angewiesen.“

Nicht anders sieht es ums Eck in Fischer’s Seniorenzentrum aus. Auch dort kommen die Mitarbeiter in der Altenpflege aus 40 verschiedenen Nationen, schätzt Matthias Vögele, Geschäftsführer der Stiftung. Mehr als die Hälfte habe einen Migrationshintergrund. Etwas weniger bunt ist die Lage in der Krankenpflege: Nur jede vierte Fach- und Hilfskraft am Klinikum Erding kommt aus dem Ausland, sagt Sprecher Markus Hautmann. Dennoch gelte auch hier: „Ohne sie geht’s nicht mehr.“

Gute Erfahrungen mit staatlichem Programm „Triple Win“

Im Jahr 2030 werden nach Schätzungen der Barmer Ersatzkasse rund 180 000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Weil es immer mehr Alte gibt und zu wenige Junge. Die Lücke verkleinern sollen Pfleger aus dem Ausland. Minister gehen auf Anwerbereisen, der Staat legt Programme wie „Triple Win“ auf, die Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern rekrutieren sollen.

Gute Erfahrungen mit „Triple Win“ haben das Klinikum Erding und das kbo-Klinikum in Taufkirchen gemacht. „Wir haben unter anderem neue Kolleginnen von den Philippinen“, sagt kbo-Sprecher Henner Luettecke. „Wir werden das ausbauen.“ Hautmann ergänzt: „Ohne Hilfe über staatliche Programme und Vermittlungsagenturen funktioniert es nicht.“

Größter Knackpunkt ist die Sprache

Der Weg nach Deutschland ist trotzdem lang. Der größte Knackpunkt dabei: die Sprache. „Ohne ausgezeichnetes Deutsch hat das in der Altenpflege leider keinen Sinn“, sagt Vögele. Viele Bewohner seien dement – und sprächen breites Bairisch. Da müssen die Deutschkenntnisse schon sattelfest sein.

Um als Fachkraft aus Drittstaaten nach Deutschland zu kommen, müssen Bewerber einen Abschluss mitbringen, der hier anerkannt wird. Alternativ können die Einrichtungen selbst ausbilden. Fischer’s Seniorenzentrum hat derzeit acht Mitarbeiter zur einjährigen Qualifikation als Pflegehelfer in die Schule geschickt, das Heiliggeist-Stift vier. Auch die Kliniken in Erding und Taufkirchen setzen auf eigene Ausbildung in Berufsfachschulen.

Die beiden Erdinger Altenheime haben – noch – keine Probleme, freie Stellen zu füllen. Beide zahlen nach Tarif und bieten viele Sozialleistungen. Und beide genießen offenbar einen guten Ruf, immer wieder flattern Initiativbewerbungen ins Haus – wenige aus dem Inland, viele aus den Balkanstaaten.

Das Heiliggeist-Stift rekrutiert Kräfte auch übers Internet, ist in sozialen Netzwerken aktiv. Fischer’s Stiftung bietet wie die Kliniken bezahlbare Wohnungen. Bei den hohen Mieten sei das „ein Garant für uns, dass wir neue Mitarbeiter gewinnen können“, sagt Vögele.

Im Erdinger Klinikum sind derzeit 30 Vollzeitstellen in der Pflege unbesetzt

Im Klinikum Erding indes sind derzeit 30 Vollzeitstellen in der Pflege nicht besetzt, sagt Hautmann. Dabei bemüht man sich besonders um die Kräfte aus Drittstaaten mit viel Aufwand. So gibt es beispielsweise ein Integrationsprogramm zur Unterstützung von Neuankömmlingen – vom Flugticket über den Deutschkurs bis hin zur Begleitung im Supermarkt.

Die Pflege ist also schon längst multinational. „Natürlich treffen hier Welten aufeinander“, sagt Di Virgilio vom Heiliggeist-Stift. Aber: „Das kriegen wir gut hin, die Mitarbeiter genauso wie die Bewohner. Wir sind füreinander da.“ So wie die Bewohnerin Schwädt und ihre Schülerin aus Usbekistan. Die 27-Jährige macht jetzt eine Hotellerie-Ausbildung in München. Sie hat in Deutschland ihre neue Heimat gefunden – auch dank der Deutschstunden im Seniorenheim.

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